Benutzer:Martin Kerstein/2012-07-31
Die emotionale Bindung - Jeff Grubb - 31. Juli 2012[Bearbeiten]
(Dieser Text ist die Übersetzung von diesem Artikel auf unserem Blog.)
Was macht ein Spiel unwiderstehlich und bezieht die Spieler gefühlsmäßig mit ein? Die Antwort mag für jeden Spieler zwar anders lauten, aber gibt es dennoch Grundprinzipien des Spieldesigns, die, wenn angewandt, dafür sorgen, dass die Mehrheit aller Spieler eine emotionale Bindung mit einem Titel eingeht?
Diese Fragen haben wir den Geschichtenerzählern von Guild Wars 2, Ree Soesbee und Jeff Grubb, gestellt. Sie hatten dazu Folgendes zu sagen:
Jeff: Ich glaube, die Frage nach der emotionalen Bindung an ein Spiel ist schwer zu beantworten. Wie verhindern wir, dass die Leute so wie in Alice im Wunderland sagen: "Du bist doch nur ein Kartenstapel" und das Spiel verwerfen? Wie beziehen wir die Spieler mit ein und wecken ihr Interesse?
Ree: Ich glaube, als Erstes muss ein Spiel die Spieler dazu bewegen, sich mit ihrem Avatar im Spiel zu beschäftigen. Um Zeit und Energie in die Spielwelt zu investieren und die NSCs als spannende Charaktere wahrzunehmen, müssen Spieler zunächst davon überzeugt sein, dass ihr eigener Charakter interessant ist und dass es sich lohnt, Zeit mit ihm zu verbringen.
Jeff: Stimmt, es fängt wirklich mit dem Avatar eines Spielers, seinem Charakter im Spiel, an. Man muss sich selbst mögen, um die Welt um sich herum zu mögen. Und eine der Herausforderungen, die ich für die Charaktererstellung in einem MMO sehe, besteht darin, einen Charakter so zu gestalten, dass er für möglichst viele verschiedene Spieler zugänglich ist, ohne ihn dabei nichtssagend und leicht zu vergessen zu machen.
Was die Spieler gleichermaßen abschreckt, sind eine bestimmte Perspektive vertretende Charaktere ohne Substanz und solche, deren gesamte Entwicklung bereits Schritt für Schritt vorgegeben ist - ihr spielt keinen Charakter sondern folgt vielmehr einem bereits von anderen gut ausgetretenen Pfad.
Ree: Zwischen den beiden muss es eine goldene Mitte geben.
Jeff: Und ich finde, wir haben diese goldene Mitte mit der anfänglichen Charaktererstellung in Guild Wars 2 gefunden. Die Wahl, die wir euch geben, geht über Volk und Klasse hinaus, und wir sorgen dafür, dass diese Wahl für eure Erfahrung im Spiel Bedeutung trägt. Wenn ihr beispielsweise ein Charr der Asche-Legion seid, gestaltet sich euer Spiel anders als wenn ihr der Eisen-Legion angehört. Wenn ihr ein Asura aus dem Kolleg der Synergetik seid, ist eure Lebenserfahrung eine völlig andere als wenn ihr dem Kolleg der Dynamik angehört.
Ree: Nach der Biografie gibt es natürlich immer noch jede Menge zu tun - die Spieler müssen engagiert bleiben und weiter an die Entscheidungen erinnert werden, die sie für ihren Charakter getroffen haben; und das alles, ohne das Spiel zu sehr aufzusplittern.
Die Charaktererstellung trägt sehr zur Verbindung zwischen Spieler und Charakter bei, sie kann aber nicht die ganze Schwerarbeit leisten. Je mehr Entscheidungen ein Spieler im Spiel treffen kann, umso mehr wird er sich den Avatar zu eigen machen.
Dynamik, von internen Entscheidungen in der Handlung bis zur Richtung, die ein Welt-Event einschlägt, trägt zur Bindung des Spielers ans Spiel bei. Zu wissen, dass "so etwas" eingetreten ist, weil jemand diese Wahl getroffen hat, ist eine Investition in den Charakter und damit in das Spiel. Es bedeutet, dass ihr in der Welt eine Rolle spielt und dass die Welt eure Entscheidungen anerkennt.
Jeff: Wir gehen beim Design von ein paar Grundannahmen aus - wir glauben, dass euer Charakter im Grunde seines Herzens gut und ein Held ist. Eure erste Vertiefung ins Spiel ist, ganz unabhängig von dem Volk, dem ihr angehört, eine Situation, in der ihr heldenhaft handeln und die Aufmerksamkeit eines stärkeren Helden erregen könnt, der euch über die Anfangsstufen hinweg als Mentor dienen wird. In eurer Vergangenheit gibt es ein paar dunkle Zeiten, generell ist euer Charakter aber ein positiver. Für die Leute in eurer Umgebung spielt ihr eine wichtige Rolle, und daher müsst ihr beginnen, euch in der weiteren Welt zu engagieren.
Ree: Während der Anfangsphase der Produktion von Guild Wars 2 diskutierten wir, was wir mit den Entscheidungen von Charakteren erreichen wollten. Würden wir "böse" Handlungen zulassen? Schurkische Charaktere? Wie steht's mit Antihelden? Zu guter Letzt beschlossen wir, dass wir in die Fußstapfen des originalen Guild Wars treten wollten. Genau wie Jeff sagt: Der Spielercharakter ist ein Held.
In manchen Fällen muss euer Held schwierige Entscheidungen treffen oder Entscheidungen, bei denen es keinen perfekten Sieg gibt (ein "Kobayashi Maru"-Szenario), wir wollten aber nie andeuten, dass der Spielercharakter eine schlechte Person sein könnte. Das mag in anderen Spielen angemessen sein, in unserem geht es aber ganz spezifisch um den Kampf zwischen Gut und Böse um die Herrschaft über Tyria. Wir sind bereit, unterschiedliche "Schattierungen" von Güte zu unterstützen (z. B. Asura gegen Sylvari), insgesamt wollen wir aber, dass unsere Spieler auf der guten Seite sind.
Ein weiteres Detail, das wir berücksichtigten, war das Aussehen des Charakters. Jeder weiß, wie ein Mensch aussieht, doch würde es uns möglich sein, das Interesse der Spieler an den haarigen, stämmigen Charr zu erwecken? Oder den kleinwüchsigen Asura und den wikingerhaften Norn? Und am allerwichtigsten - wie sollten wir es anstellen, ein Pflanzenvolk visuell so vertraut zu gestalten, dass die Spieler sich damit identifizieren können, es aber als einzigartiges Volk gleichzeitig anders genug aussehen zu lassen? Unsere Künstler sind unglaublich, ich muss aber zugeben, dass ArenaNet einiges ausprobieren musste, um die Gesichter, Kostüme, Details und Silhouetten der Völker, die wir heute haben, hinzubekommen.
Jeff: Die Identifikation mit eurem Avatar ist der Schlüssel zum emotionalen Engagement. Um diese Bindung zu schaffen, muss ein Spieler die Entwicklung von "das ist mein Charakter" zu "das bin ich" vollziehen. Einiges davon wird grafisch geleistet, mithilfe von benutzerdefiniertem Aussehen und Ausrüstung. Ein großer Teil davon besteht aber darin, Optionen zu schaffen, die den Spieler eine Verbindung mit seiner Schöpfung eingehen lassen, mit der er sich identifizieren kann. Selbst mit der Grundannahme "Ich bin ein Held" liefern wir genügend Vielfalt, um eine ganze Palette verschiedener Spielstile zuzulassen. Darüber hinaus wirken sich diese Entscheidungen auf den Fortschritt der Handlung, einzigartige Gegenstände in eurer Heimatinstanz, ja sogar auf Unterhaltungen und Szenen aus, die wiederum eure Entscheidungen bestärken.
Außerdem müssen wir die Welt, in der sich der Charakter bewegt, in Betracht ziehen. Es ist nicht nur der Charakter selbst, der zugänglich sein muss. Auch die Welt, in der er lebt, muss eine Umgebung sein, die eine emotionale Bindung fördert. Jedes der fünf Völker im Spiel hat attraktive Eigenschaften, die den Spielern dabei helfen, sich mit ihnen zu identifizieren. Die Charr sind grimmige Soldaten, jedoch gleichzeitig pragmatisch und bedächtig. Die Norn kosten das Leben voll aus. Die Sylvari sind zwar neu in der Gegend, haben jedoch angeborene hoch ausgeprägte Ideale. Nicht alle NSCs, denen ihr begegnet, verkörpern die Tugenden ihres jeweiligen Volkes, doch alle sind mit den Idealen ihrer Gesellschaft vertraut. Dadurch taucht ihr tiefer in die Welt ein und verstärkt euer emotionales Engagement mit den Personen, mit denen ihr zu tun habt.
Ree: Die nächste Herausforderung besteht darin, die Welt lebendig und fesselnd zu gestalten und dieses Engagement weiterhin aufrechtzuerhalten, während ihr spielt. Inhalte mit echtem Anreiz zu liefern, bei einem Spieler ein echtes Interesse an den Dingen zu erwecken, die er entdeckt oder an den Events, auf die er Einfluss hat, ist die zweite Hälfte unserer Herausforderung. In manchen Spielen könnt ihr einen Charakter erstellen, den ihr mögt, und im Spiel selbst trotzdem gelangweilt sein - deshalb müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun, um dafür zu sorgen, dass die Welt interessant und relevant bleibt. Wir planen, durch Unterhaltungen und die Rückkehr von NSCs aus den frühen Phasen des Spiels immer wieder auf die Biografiefragen zurückzugreifen, damit der Spieler die emotionale Bindung auch weiterhin spürt.
Diesen NSCs Leben einzuhauchen und den Spieler auf diese Weise Anteil an der Welt um ihn herum nehmen zu lassen, dient dazu, das Interesse aufrechtzuerhalten. Cleveres Gameplay kann dabei helfen, genau wie schöne Grafik. Was ein MMO aber wirklich emotional von einem Film unterscheidet, ist die Tatsache, dass ihr mit ihm interagieren, eure eigenen Entscheidungen treffen und die Welt, in der ihr euch bewegt, verändern könnt. Und das ist die Stärke, zu der wir bei der Gestaltung des Spiels immer wieder zurückkehren.
Jeff: Ich glaube, darauf läuft am Ende alles hinaus - ihr lasst euch emotional auf das Spiel ein, weil ihr ein Interesse an eurem Charakter und der Welt entwickelt. Das könnt ihr tun, indem ihr Entscheidungen trefft und miterlebt, wie diese Entscheidungen sich in der Welt auswirken und tatsächlich etwas bedeuten. Das ist eins unserer Ziele beim Erzählen von Geschichten in Guild Wars 2.